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1. Vorwort zum Kreuzweg

In Oberammergau im bayerischen Oberland finden alle 10 Jahre sogenannte Passionsspiele statt. Das ist seit Generationen eine feste Tradition und die Folge eines Gelübdes, das zu Pestzeiten abgelegt wurde. Mittlerweile sind diese Passionsspiele weltweit bekannt und genießen eine große Aufmerksamkeit. Für die Aufführungen ist eigens ein großes Theater am Ort gebaut worden. Man muss früh buchen, um Tickets zu bekommen. Es gibt feste Regeln, wie die Rollen zu besetzen sind. Die Schauspieler kommen aus Oberammergau. Die Männer dürfen sich monatelang nicht rasieren und die Jesusrolle wird doppelt besetzt. Auch die Rolle der Maria ist an Voraussetzungen geknüpft. Für viele Einheimische ist es eine besondere Auszeichnung, eine der Hauptrollen zu bekommen. Im vergangenen Jahr sollten die Passionsspiele wieder stattfinden und mussten wegen Corona abgesagt werden. Die Spiele sind nun auf das kommende Jahr verlegt worden. Geprobt wird dennoch. Aus diesen Proben stammen die Bilder des Kreuzweges. Sie ermöglichen dem Betrachter eine ganz besondere Perspektive. Sie werden Beobachter, wie ganz gewöhnliche Menschen versuchen, sich eine Rolle anzueignen und sich dabei in die Person hineinversetzen, die sie verkörpern. Es sind Werkstattmomente. Etwas ist am Entstehen und wir sind Zeugen, wie eine Geschichte der Vergangenheit in die Gegenwart transportiert wird. Der Stoff bietet viele Anknüpfungsmomente und wird dadurch aktuell und wirklichkeitsnah. Dieser Kreuzweg ist eine Einladung, an den Proben zu den Passionsspielen in Oberammergau teilzunehmen und gleichzeitig die Bedeutung der Passionsgeschichte für sich selbst zu entdecken. Ich wünsche ihnen erhellende und bewegende Momente bei der Betrachtung der einzelnen Bilder und dem Lesen der Texte, die Dialoge zwischen dem Regisseur und den Schauspielern wiedergeben.

Jörg Awischus, Pfarrer

2. Prolog

Sebastian Schulte

Regie: So, wir machen jetzt mit den Proben für den Kreuzweg weiter. Jetzt steht Jesus im Mittelpunkt. Auf ihn kommt es an. Die Rolle von Jesus ist ja zweimal besetzt. Sagt mir doch mal, jeweils: Was ist deine Botschaft als Jesus? Was hast du den Leuten zu sagen?

Jesus 1: Ich sage euch: Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden. Mt 5,9

Jesus 2: Ich aber sage Euch: Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Mt 10,34

Jesus 1: Das bekomme ich jetzt nicht zusammen. Jesus hat so unterschiedliche Sachen gesagt. War er nun für den Frieden oder nicht?

Jesus 2: Er wollte Frieden. Da bin ich mir sicher. Aber das heißt ja nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Manchmal muss man sich auch dafür streiten und einsetzten. Das ist ja noch kein Unfrieden.

Jesus 1: Aber doch nicht mit dem Schwert?

Jesus 2: Ich glaube, wir müssen uns manchmal im Leben entscheiden. Das will Er damit sagen. Manche Entscheidung ist scharf wie ein Schwert. Sie trennt zwischen dafür oder dagegen, besonders beim Frieden. Da gibt es kein ja, aber.

Jesus 1: Hast du ein Beispiel dafür?

Jesus 2: Klar, habe ich: Niemand ist nur ein bisschen rassistisch. Rassismus ist eben Rassismus. Und geht gar nicht. Frieden stiften heißt dann, Rassismus zu bekämpfen, mit klaren Mitteln, mit Trennschärfe. Das würde Jesus auch so sehen, da bin ich mir sicher.

Jesus 1: Ist es denn nicht auch tröstlich gemeint, was Jesus uns sagt? Frieden stiften, das heißt für mich, zu versöhnen, beizulegen und eben nicht zu verschärfen.

Jesus 2: Das ist doch kein Widerspruch. Es gilt beides. Jesus lädt alle an seinen Tisch, Er grenzt ­keinen Menschen aus. Er kritisiert viele ­Verhaltensweisen sehr scharf. Durch den Kreuzweg sehen wir deutlich, was nicht geht.

Regie: Okay, also einfach ist das wohl nicht. Das wird spannend. Unterwegs auf dem Kreuzweg mit Jesus. Mal sehen, was wir an Jesus noch entdecken werden.

3. Auf dem Weg

Sebastian Schulte

Regie: Laut jubelnd laufen Menschen zusammen. Palmwedel werden geschwenkt. Jesus reitet auf einem Esel durch die Menge hindurch. Ein Mann läuft voran und heizt sie ein.

Alle: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe! Mt 21,9

Regie: Lauter! Ihr seid zu leise!

Alle (laut): Hosanna in der Höhe!

Regie: Der Jubel muss richtig laut sein! Überlegt euch – überlege dir, wie stehst du zu Jesus?

Person aus dem Volk 1: Soll ich ihm zujubeln? Die Begeisterung kann ich richtig spüren. Endlich einer, der etwas bewegt. Es hilft mir, an all das zu denken, wo ich mir jetzt Veränderung wünsche.

Person aus dem Volk 2: Was soll ich davon halten? Ich weiß es nicht. Scheint ein interessanter Typ zu sein, dieser Jesus. Eine große Wirkung hat er ja. Aber ist er vertrauenswürdig? Möglich. Mit der Menge einfach mitzuschwingen, ist auch nicht das Schlechteste.

Person aus dem Volk 3: Reines Spektakel – was soll die Show? Einreiten auf einem Esel! Wer so dick aufträgt, macht sich definitiv angreifbar. Wusste Jesus auf was er sich da einlässt? Ich kann mich nicht entscheiden, ob es extrem mutig oder unglaublich naiv war, sich so ins Rampenlicht zu stellen.

Regie: Jesus, was fühlst du?

Jesus: Es ist schon ein irres Gefühl, von einer Menge so getragen zu werden und gleichzeitig so viele Erwartungen zu erfüllen. Ich habe extrem Ehrfurcht vor dieser Rolle.

Gebet: Guter Gott, die Stimmung ist aufgeheizt. Da sind so viele unterschiedliche Meinungen und Möglichkeiten. Meinen eigenen Standpunkt zu finden, ist nicht leicht. Hilf Du mir dabei. Amen.

4. In der Menge

Sebastian Schulte

Regie: Aufgewühlte Menschenmasse, eng beieinander, vor dem Palast des Richters Pilatus. Da schrien sie alle:

Alle: Weg mit ihm! Lk 23,18

Person aus dem Volk: Ich soll ein Teil einer großen Menschenmenge sein. Ich soll wie alle sein und soll machen, was alle machen. Keine Ahnung, wie man das spielen soll.

Regie: Du musst laut sein! Du musst richtig aus dir herausgehen!

Person aus dem Volk: Und was soll ich sagen?

Regie: Du sollst schreien: Kreuzigt ihn!

Person aus dem Volk: Aber was hat er denn getan?

Regie: Nicht darüber nachdenken. Einfach schreien: Kreuzigt ihn! Kreuzigt ihn!

Person aus dem Volk: Ok. Also einfach schreien. Das bekomme ich hin. Damit sie ihn hinrichten, das Opfer. Wie ich das finde, ist egal. Ich spiele ja nur meine Rolle.

Gebet: Guter Gott, Du hast uns einen Kopf zum Denken gegeben. Hilf uns, Recht und Unrecht zu unterscheiden. Gib uns die Kraft, eine eigene Meinung zu haben, auch gegen den Strom. Amen.

5. Unterm Kreuz

Sebastian Schulte

Regie: Jesus hängt jetzt am Kreuz. Die römischen Soldaten heben ächzend, stemmen das Kreuz hoch und richten es auf. Vorsicht: Sehr schwer! Unbedingt aufpassen! Jesus stöhnt dabei. Die Soldaten dürfen fluchen.

Sprecher/in 1: Da lieferte Pilatus ihnen Jesus aus, damit er gekreuzigt würde. Die Soldaten übernahmen Jesus und gingen mit ihm vor die Stadt Jerusalem. Dort kreuzigten sie ihn. (Vgl. Joh 19, 16–18.)

Regie: Frage an die Soldaten: Wie geht ihr jetzt da dran?

Soldat 1: Ich gehöre zu denen, die Jesus umbringen. Klar: Befehl ist Befehl. Unmenschlich ist es trotzdem. Da mussten die Soldaten damals einfach gehorchen. Ich find’s schrecklich.

Soldat 2: Der wollte uns doch alle retten! Wie kann der das so mit sich machen lassen? Der muss sich mal losreißen und endlich sagen, dass wir aufhören sollen. Ich verstehe das nicht. Vor ein paar Tagen war er noch der große Held.

Soldat 3: Wow, so ein armer, schwacher Typ. Dem sind so viele nachgefolgt? Der hat ja nix auf den Rippen. Jetzt hängt der da rum.

Gebet: Gott, Du hast Jesus am Kreuz sterben lassen. Es ist schwer, das zu verstehen. Wie soll das fair sein? Schenke mir eine Ahnung, was das für mein Leben bedeutet. Amen.

6. Im Blick

Sebastian Schulte

Regie: Die Bibel berichtet: Auch viele Frauen waren dort und sahen von Weitem zu; sie waren Jesus von Galiläa aus nachgefolgt und hatten ihm gedient. Zu ihnen gehörten Maria aus Magdala. Mt 27,55f

Maria, du kannst in dieser Szene nicht viel machen. Man soll aber sehen, was mit dir los ist. Kannst du mal sagen, was in dir vorgeht?

Maria Magdalena: Genau, ich kann nichts machen. Ich stehe hier und muss zugucken. Es macht mich fassungslos, wie einem Freund so etwas Grausames angetan wird. Und ich stehe einfach nur am Rand und kann nichts dagegen tun! Ich sehe die Kreuzigung. Ich sehe, was Jesus durchmachen muss. Ich sehe Jesus sterben. Mir ist einfach nur nach Heulen zumute. Wenn ich das spiele, muss ich immer an die Beerdigungen denken, an denen ich teilgenommen habe. Jetzt versuche ich das, was ich fühle, auf die Bühne zu kriegen. Mein Entsetzen, meine Wut, meine Verzweiflung und meine Ohnmacht.

Gebet: Guter Gott, warum lässt Du so viel Leid zu? Mit Gewalt und Tod kann ich einfach nicht umgehen. Manchmal zweifle ich an Dir und möchte Dir doch vertrauen. Amen.

7. Vor Gott

Andreas Stückl

Regie: Jesus hängt im Todeskampf am Kreuz, die Bühne verdunkelt sich. Und Jesus rief mit lauter Stimme:

Jesus: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Regie: Danach, als Jesus wusste, dass nun alles zu Ende geht, sagte er:

Jesus: Es ist vollbracht! Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. (Vgl. Mk 15,34, Joh 19,30 und Lk 23,46)

Regie: Jesus, stell dir diese Szene genau vor! Du hängst sterbend am Kreuz. Die Jünger sind weg, die Soldaten haben sich verzogen. Der Einzige, der dich noch retten kann, ist Gott. Und Gott hört dich nicht. Dabei hat Jesus doch Gottes Willen erfüllt. Warum musste er trotzdem am Kreuz sterben?

Jesus: Richtig, es ist schwierig zu verstehen! Wenn die Geschichte hier enden würde, wäre das einfach nur unbegreiflich und unfair. Aber vergiss Jesu letzte Worte nicht. „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ Gott hat Jesus nicht verlassen. Er bestraft ihn auch nicht. Jesus vertraut ihm voll und ganz – bis zum Ende.

Gebet: Gott, hilf mir auch in schweren Zeiten Deine Gegenwart zu spüren. Sei bei mir, wenn ich mich alleine fühle und planlos bin. Ich bitte Dich, sei bei mir, wenn nichts mehr geht.

8. Epilog

Sebastian Schulte

Regie: Der Tisch ist leer. Wo früher die Freunde und Freundinnen mit Jesus gegessen haben, sind jetzt Plätze frei. Was meint ihr: Wie geht es jetzt weiter? Dazu fällt mir eine Geschichte aus der Bibel ein: Ein Mann veranstaltete ein großes Festmahl und lud viele dazu ein. Zur Stunde des Festmahls schickte er seinen Diener aus und ließ denen, die er eingeladen hatte, sagen: Kommt, alles ist bereit! Aber einer nach dem anderen entschuldigte sich. Da wurde der Hausherr zornig und sagte zu seinem Diener: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und hol die Armen und die Krüppel, die Blinden und die Lahmen hierher! Nötige die Leute hereinzukommen, damit mein Haus voll wird. (Vgl. Lk 14,16–17, 21–23)

Person 1: Gott, der Eventplaner, der ein großes Festmahl gibt. Zu dem wir alle eingeladen sind. Er überlässt mir die Entscheidung.

Person 2: Aber die Tische bleiben leer. Die Eingeladenen können oder wollen nicht kommen. Das erinnert mich an das Frühjahr 2020. Vieles fiel aus, aber ehrlich, zu manchem wäre ich auch nicht hingegangen.

Person 1: Genau, und zu einigen Sachen habe ich einfach keine Lust. Aber: Gott bleibt beharrlich. Für ihn spielt es eine Rolle, wie du dich entscheidest. Er sagt nicht einfach ab, er gibt nicht einfach auf. Er will alle an einen Tisch bringen.

Person 2: Nachdenklich macht mich, dass die Armen und Ausgegrenzten Gottes Einladung eher annehmen. Vielleicht sind wir Menschen so: Solange es uns gut geht, sind wir ziemlich wählerisch. Seit dem Corona-Lockdown bin ich jedenfalls offener und dankbarer. Ich bin froh um jeden menschlichen Kontakt, um jedes Treffen!

Person 1: Das ist bei mir ähnlich. Oft merkt man erst, wie wichtig einem etwas ist, wenn es plötzlich fehlt.

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